Sobald die Pandemie vorüber ist, will Harald Vogt nach Indien reisen, um am Projekt weiterzuarbeiten.
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Hilfe zur Selbsthilfe

Harald Vogt ist ein Mitglied des Senior Expert Services. In einem Auslandseinsatz hilft der Ostfriese einem Maschinenbau-Betrieb in Indien, seine Produktpalette zu erweitern, um neue und sichere Arbeitsplätze zu schaffen. Besonders Fachleute aus dem Handwerk sind aufgerufen, der Organisation ehrenamtlich beizutreten.

Ostfriesland. Die Zukunft braucht Erfahrung: Unter dieser Leitidee macht sich der Senior Experten Service (SES) mit Sitz in Bonn das berufliche Fachwissen von Ruheständlern zu eigen. Unter dem Dach der Stiftung der Deutschen Wirtschaft für Internationale Zusammenarbeit setzen Experten sich ehrenamtlich für humanitäre Projekte im Ausland ein oder helfen als Tandempartner Schülern sowie Auszubildenden auf ihrem Weg ins Berufsleben. Auch die Handwerkskammer für Ostfriesland fördert diese Initiative aktiv. Viele Handwerker bringen sich in dem SES ein.

Eine der Zweigstellen ist seit vier Jahren im Landkreis Leer ansässig. Unter der Leitung von Almuth Minor aus Aurich und Klaus Stomberg aus Emden werden die mittlerweile rund 370 Experten vom Arzt bis zum Bäcker koordiniert. „Viele Expertinnen und Experten besonders aus handwerklichen Sparten könnte der SES zur selben Zeit doppelt- und dreifach entsenden“, berichtet Almuth Minor, die die Auslandseinsätze mitorganisiert. Das treffe auf alle Bereiche zu: Gesucht werden etwa Fleischer, Konditoren und Brauer ebenso wie Friseure, Schweißer oder Fliesenleger. Nicht anders ist die Situation im technischen Bereich. Experten aus der Klimatechnik oder dem immer wichtiger werdenden Feld der regenerativen Energien, Elektroniker oder Mechatroniker seien beim SES höchst willkommen. „Im In- und Ausland besteht ständig eine hohe Nachfrage nach Fachwissen aus dem Handwerk“, erklärt Almuth Minor weiter. Ein Grund dafür sei das international große Renommee eines in Deutschland erworbenen Meisterbriefes. 

Ein Senior Experte aus ihrem Bezirk, der kurz vor Ausbruch der Pandemie in einem Auslandseinsatz war, ist Weltenbummler Harald Vogt aus Warsingsfehn in Moormerland. Der 66-Jährige blickt auf eine bewegte Karriere zurück, die ihn durch viele Länder wie China, Japan oder Indonesien führte. Aber was macht ein Maschinenbauingenieur und gelernter Technischer Zeichner, wenn er nach 30 Jahren Tätigkeit in Asien in den Unruhestand geht? Natürlich „unbedingt etwas Neues erleben und neue Länder entdecken“. Dafür trat Vogt 2018 dem Senior Expert Service bei.

In seiner beruflichen Laufbahn war er zum größten Teil für die Mannesmann Rexroth AG und der späteren umfirmierten Bosch Rexroth AG tätig, dem Weltmarktführer für Hydraulik sowie für die Antriebs- und Steuerungstechnik. Speziell in der Hydraulik-Sparte wurde er als Geschäftsführer oder Projektleiter in den verschiedenen Länderniederlassungen eingesetzt und gründete neue Standorte. Am letzten Wirkungsort für die Firma Hydac GmbH mit Sitz in Sulzbach fand er in Indonesien seine Heimat. Dort lebte er einige Zeit mit seiner Familie, bis er mit seinem beruflichen Ausscheiden 2018 zu seinen ostfriesischen Wurzeln zurückkehrte.

Der SES forderte sein Knowhow kurze Zeit später für einen Indien-Einsatz ein. Im Oktober 2019 besuchte er für vier Wochen den Maschinenbauer und Zulieferer für Automobil- und Motorradwerkstätten Penta Auto Equipment in Coimbatore, ganz im Süden Indiens. Das Unternehmen beschäftigt dort rund 70 Mitarbeiter. Die Mannschaft fertigt – entgegen teurer Importe – Kfz-Werkstatt-Produkte in kompletter Handarbeit auf einem für den Markt erschwinglichen Preisniveau an. Mit Unterstützung von Harald Vogt soll sich das Unternehmen zu einem soliden Mittelständler entwickeln, der sichere und neue Arbeitsplätze anbietet und so zum Wohlstand in der Region beiträgt.

Unter dem Qualitätssiegel „Under german supervision designed“ (eng. Unter deutscher Aufsicht entworfen) half er den Mitarbeitern, vier Prototypen zur Serienreife weiterzuentwickeln und die Produktionskosten auf lokale Verhältnisse anzupassen. Unter seiner Leitung wurde unter anderem die fehlerhafte hydraulische Vorrichtung einer Motorrad-Hebebühne preisgünstiger umkonstruiert. Der 800 Kilogramm schwere Scheren-Hubtisch soll in Kfz-Werkstätten mit zahlungskräftigen Kunden einen Absatzmarkt finden. Auch die Hydraulik an einem Werkstattkran, der seine Last nicht tragen konnte, wurde komplett umgerüstet.

An die Zusammenarbeit erinnert sich Vogt trotz der kulturellen Unterschiede sehr positiv. „Alle waren freundlich und interessiert. Mein Wissen wurde wie ein Schwamm aufgesogen“, erzählt der Ingenieur von seinen Erlebnissen. Im Entwicklungsland Indien hätten Arbeitgeber einen hohen Stellenwert. Neue Mitarbeiter sind oft ungelernt. Erst in der Firma werden sie zu Spezialisten und bleiben dem Unternehmen treu. „Die Lebensverhältnisse

sind dort mit den deutschen nicht vergleichbar“, berichtet er weiter. Beispielsweise sei der Begriff „Arbeitsschutz“ ein unbekannter. Es werde viel auf dem Boden gearbeitet. Da es kein soziales Netz durch den Staat gebe, sei es sehr wichtig, Menschen in Lohn und Brot zu bringen. So könnten sie für sich und ihre Familien sorgen, sagt Vogt und resümiert: „Die Hilfe zur Selbsthilfe ist das Beste, was wir vor Ort geben können.“

Abgeschlossen ist das Projekt noch lange nicht. Vogt schätzt, dass noch mindestens fünf bis sechs Besuche anstehen, bis Penta auf soliden Beinen steht und einige Arbeitsplätze hinzugewachsen sind. Auch zwischendurch wird telefoniert. Allerdings sei der Kontakt mit dem Ausbruch der Corona-Krise ins Stocken geraten. Er hofft, dass das Unternehmen die Pandemie überstehen wird. Bis dahin hat ein weiteres Land, die Ukraine, seine Expertise angefordert.

Almuth Minor erklärt: „Es hat sich gezeigt, dass das Konzept des ehrenamtlichen Know-how-Transfers ankommt – in Entwicklungs- und Schwellenländer nicht weniger als in Deutschland.“ Durch die Einsätze trägt der SES deutlich zur wirtschaftlichen Entwicklung bei, fördert die Infrastruktur in den Auftragsländern, macht sich für eine praxisorientierte Ausbildung stark und hilft bei der Einführung neuer Technologien. Im Gegenzug könnten die ehrenamtlichen Mitglieder bereichernde Erfahrungen sammeln und Begegnungen mit Menschen und Kulturen erleben, die nicht alltäglich sind und die Gesellschaft weiterentwickeln.

Alle Kosten und Auslagen werden von der Stiftung getragen. Interessierte erreichen Almuth Minor unter der Telefonnummer 0491 926-4045 oder per E-Mail ses@ses-buero-leer.de.

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